Aktion für Mahsa Amini: Warum sich junge Frauen im Iran die Haare abschneiden

Ihre Tweets veranschaulichen den Alltag einer ganz normalen jungen Frau: Kosmetikprodukte, Fitnessstudio-Eskapaden, Treffen mit Freundinnen, Uni-Leben, ein Termin im Friseursalon, um ihre Haare lila zu färben. Doch am 16. September werden Negars Tweets düster, wütend. Denn Mahsa Amini ist tot. Der Name dieser Frau verbreitet sich wie ein Lauffeuer im Iran und auf der ganzen Welt.

Zwei Tage später, offensichtlich zwischen den Tränen und vor der Handy-Kamera, nimmt Negar eine Schere in die Hand und fängt an, ihr frisch gefärbtes lila Haar zu schneiden. Hashtag: „Mahsa Amini“.

„Ich fühle extreme, unlösbare Schmerzen und Elend. Wir Iraner kennen diese Situationen schon länger“, sagt sie der Berliner Zeitung. „Ich bin frustriert und verzweifelt, deshalb werde ich nicht zulassen, dass der Name eines meiner Landsleute ein neuer Hashtag auf Twitter wird.“ Mit dieser Aktion habe sie beschlossen, ihre Dissidenz zu demonstrieren.

Mahsa Amini wurde vor gut einer Woche von der iranischen Sittenpolizei wegen eines Verstoßes gegen die strenge islamische Kleiderordnung festgenommen. Sie fiel ins Koma und starb am Freitag in einem Krankenhaus. Kritiker werfen der Moralpolizei vor, Gewalt angewandt zu haben. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück.

„Bewusst und willentlich gehe ich diesen Weg furchtlos“

Irans Streitkräfte haben aufs Schärfste vor einer Störung der Sicherheit im Land gewarnt. „Wir werden den Feinden nicht erlauben, die Situation auszunutzen“, hieß es in einer Mitteilung, wie die iranische Nachrichtenagentur Isna am Freitag berichtete. Auch der Geheimdienst warnte nach Angaben der Agentur Tasnim vor einer Teilnahme an „illegalen Versammlungen“. Am Donnerstag hatte Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte bei den landesweiten Protesten angeordnet.

„Menschen sind gestorben, es ist für alle gefährlich“, sagt Negar. Sogar unser Gespräch sei für sie gefährlich, gibt sie zu. „Mir ist es vollkommen bewusst, aber willentlich gehe ich diesen Weg furchtlos.“ Sie sei eine Pionierin dieser Bewegung und „sehr stolz auf diejenigen, die auf der Straße demonstrieren“. Angesichts der strengen Internet-Beschränkungen, „bitte ich Sie, unsere Stimme zu sein“, so Negar.

„Ich werde töten, wen meine Schwester getötet hat“

Das sind außergewöhnliche Tage, die Iran erlebt. Ja, alle paar Jahre gibt es einen Grund, auf die Straße zu gehen und manchmal kommt es zu Ausschreitungen. Nun ist es anders. „Ich habe nichts ähnliches in den letzten 40 Jahren gesehen“, sagt Kaweh*, ein erfahrener iranischer Journalist, der Berliner Zeitung. Es sei das erste Mal, dass Männer und Frauen zusammenkommen, um für Frauenrechte zu demonstrieren.

Er behauptet, dass diesmal sogar religiöse Akteure reagiert haben. Schauspieler haben sich mit dem Opfer und den Demonstranten solidarisiert. Einige Schauspielerinnen legten ihr Kopftuch ab. Ob er glaubt, dass diese Bewegung das Potenzial hat, Veränderungen zu bewirken?

Obwohl Dutzende von Todesfällen die Wut immer weiter angeheizt haben: Kaweh schätzt, dass die Bewegung abnehmen wird, je stärker der Druck zunimmt.

* Name ist der Redaktion bekannt.

(mit dpa)

Quellenlink : Aktion für Mahsa Amini: Warum sich junge Frauen im Iran die Haare abschneiden